Videos ja, aber mit Bedacht
- Matthias Michael
- 21. Mai 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Mai 2024
Einige Tipps können helfen, Fehler bei der Bewegtbildkommunikation zu vermeiden

Videos prägen die Ära der #Aufmerkeitsökonomie. Nie war es so leicht und so preisgünstig, einfache #Clips mit bewegten Bildern zu montieren. Aber hochwertige Filme müssen mit professionellem Equipment und Personal produziert werden.
#Videos sind das Mittel der Wahl in vielen kommunikativen Angelegenheiten: Sie emotionalisieren, veranschaulichen, unterhalten und wirken modern. Gekonnt produziert, werden sie von jedermann verstanden. Zudem können sie eine Verbundenheit, mitunter eine Identifikation mit einer Marke, einem Unternehmen oder einer anderen Einrichtung bewirken.
Nie war es so einfach, Videos zu produzieren wie heute. Wer ein Smartphone besitzt, kann damit sendetaugliche Einstellungen aufnehmen. Mit einem einfachen Schnittprogramm wie #CapCut oder #I-Movie, einer persönlichen Motivation und etwas technischem Verständnis ist jeder in der Lage, einfache Videos zusammenzustellen und danach im Internet anzubieten, sodass die Welt sieht und staunt.
Aber Vorsicht: Mit Videos, die peinlich wirken oder verfängliche Aussagen enthalten oder moralisch zweifelhaftes Geschehen zeigen, schadet sich eine Einrichtung ohne Not und möglicherweise langfristig. Deshalb sollten Arbeitgeber ihre Videos zunächst mit Bedacht produzieren und dann einem Pretest unterziehen, bevor die Clips und Filme geschäftsschädigend auf sozialen Medien oder in den klassischen Medien verrissen werden könnten. Auf diese Weise wird eine reine Binnensicht auf ein aufgenommenes Thema vermieden.
Mit jeder Sekunde wird deutlicher,
dass das Video komplett gescriptet worden ist
Einmal rief mich der Kommunikationsleiter einer Versicherung an und interessierte sich für meine Analyse eines ersten Films einer geplanten Reihe, die das Unternehmen über seine Vorzüge und Besonderheiten veröffentlichen wollte. Das Video stand noch nicht online. Er ermöglichte mir einen Zugang, so dass ich die Fassung ansehen konnte: In dem Video stöckelte eine junge hübsche Frau mit einem Businesskostüm über einen sonnendurchfluteten Glasgang, sie erzählte daruntergelegt über sich und ihre Aufgaben für den Konzern, über ihren Werdegang und ihre Qualifikation. Dann ging sie in ihr Büro, wo ihr ein ebenso adretter junger Mann hinter einem aufgeräumten Schreibtisch und in Jackett und Krawatte gegenübersaß. Sie setzte sich und berichtete weiter über die tolle #Atmosphäre in der Firma.
Erwartungsvoll fragte der #Kommunikationsleiter, wie ich das Video einschätzte. Zu seiner Verblüffung sagte ich ihm, dieses Video würde mich – vorausgesetzt ich wäre ein Studienabsolvent und würde nach einem Berufseinstieg suchen – davon abbringen, mich bei der Versicherung zu bewerben. „Warum?“ fragte der Mann in der Leitung hörbar enttäuscht. Ich antwortete: „Das Video ist mir zu domestoshaft hygienisch und clean. Die junge Dame wurde offenbar eigens dafür gecastet. Sie gibt sich Mühe, sie sagt Sätze auf, betont sogar leidlich, aber im Verlauf des Clips wird immer deutlicher, dass jedes Wort dieses Produktes gescriptet worden ist. Die junge Frau dient nur als ein austauschbares Subjekt für die videoverantwortliche Person. Ihr wird alles in den Mund gelegt und vorgeschrieben. Der Clip wirkt deshalb nicht wahrhaftig, sondern eher wie #Propaganda, erdacht von einer dilettierenden #Werbeagentur. Das werden die Zuschauenden vielleicht nicht kognitiv so artikulieren, aber sie werden es empfinden. Sie spüren: Hier stimmt etwas nicht – #Wirklichkeit wird simuliert. Insofern handelt es sich eher um einen fiktionalen Film als um einen nonfiktionalen.“
Das hat der Kommunikationsleiter dann offenbar ebenso gesehen, denn er bedankte sich sehr für die ehrlichen Worte. Das Video ist tatsächlich niemals on Air gegangen. Die gesamte geplante Reihe wurde nicht produziert, jedenfalls nicht so wie sie in diesem #Pilotvideo beispielhaft umgesetzt war.
Das bedeutet: Videos können wie ein Spielfilm – also erkennbar fiktional – umgesetzt sein, gern mit Schauspielern, wenn sie eine Botschaft, eine #Moral, einen Wert transportieren. Das haben beispielsweise Edeka, Hornbach und Penny mit Kampagnen exerziert, die millionenfach geklickt und weitergeleitet worden sind. Ein Stück bei Edeka hieß „Heimkommen“. Der Clip zeigt einen einsamen alten Mann, dem seine Kinder für den Weihnachtsbesuch absagen. Dann erhalten die Kinder eine Todesanzeige. Sie reisen zur Beerdigung an, gehen gemeinsam in die Wohnung des Vaters. Der Tisch ist gedeckt, Kerzen leuchten. Die Familien staunen. Plötzlich kommt der Senior aus der Küche, die Freude bei allen ist groß. Er sagt: „Wie hätte ich Euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“ Dann liegen sie sich glücklich in den Armen und feiern an einer langen Tafel gemeinsam ein Familienweihnachten mit Spaß und Unterhaltung. Den Wert, der hier transportiert wird, könnte man unter Familiensinn, familiärer Verbundenheit, Gemeinschaft und Zusammenhalt beschreiben.
Es geht um Loyalität, Liebe
und Zusammenhalt in der Familie
Oder Hornbach mit seiner #Kampagne „Sag es mit Deinem Projekt!“ Ein schwarz gekleidetes Teenagermädchen mit Ketten und Ringen und schwarz gefärbten Haaren wird von ihrem Vater zur Schule gefahren. Im Unterricht landet eine Kröte plötzlich vor ihr auf dem Tisch, alle lachen. Im Sportunterricht sitzt sie in der Halle allein auf der Bank, während die anderen Ballspielen. Auf dem Nachhauseweg gehen ihr die Menschen aus dem Weg, sie fängt verächtliche Blicke ein, schwarze Vögel flattern davon. Sie kommt vor ihr Einfamilienhaus: Der Zaun ist frisch mit schwarzer Farbe gestrichen, auch der Plattenweg führt schwarz zum Haus. Auf einer Leiter steht ihr Vater und streicht das Haus schwarz an, die Blicke der beiden treffen sich, anerkennend und liebevoll. Sie geht hinein, er streicht weiter das Haus. Auch hier geht es um Loyalität, Liebe und Zusammenhalt in der Familie. Das versteht jeder Zuschauer ohne weitere Erklärung.
Im Penny-Video „Der Wunsch“ treffen sich ein pubertierender Sohn und seine Mutter zufällig nachts in der großen Essküche. Er setzt sich zu ihr an den Tisch und fragt, ob sie auch nicht schlafen könne. Sie bejaht. Dann fragt er, was sie sich eigentlich zu Weihnachten wünsche. Sie antwortet mit einer überraschenden Aufzählung: Dass er sich nachts heimlich rausschleiche, dass Papa ihn abholen müsse, weil er zu viel getrunken habe, dass er die Schule schleifen ließe, dass er seiner Freundin endlich sage, dass er sie liebt – und dass sie ihm das Herz breche… „Ich wünsch‘ mir einfach, dass Du Deine Jugend zurückbekommst!“ Genau darum geht es inhaltlich: um das Leiden der Kinder und Jugendlichen unter den Einschränkungen der #Coronapandemie. Denn das Video ist in der der Zeit der Infektionsmaßnahmen produziert und ausgestrahlt worden. Es war – bezogen auf die Aufmerksamkeit, die es erhalten hat – sehr erfolgreich. Millionen Menschen haben es gesehen. Ob es dem Lebensmitteldiscounter zu mehr Reputation verholfen hat, sei dahingestellt, dafür müsste die Wirkung der Kampagne qualitativ untersucht werden.
Arbeitgeber erzählen Geschichten über #Werte, mit denen sich viele Menschen identifizieren können
Alle drei Filme sind aufwendig und hochwertig produziert worden. Alle waren quantitativ erfolgreich, alle transportieren die Marke eines #Handelsunternehmens. Alle erzählen eine kleine fiktive Geschichte über einen Wert, mit dem sich viele Menschen identifizieren können. Insofern wirken solche Videokampagnen, die nicht wie Produktwerbung daherkommen, modern, emotional und unterhaltsam. So verändert sich das alte Produktmarketing zusehends zum Wertemarketing. Hier kommt es darauf an, ein Unternehmen mit einem ethischen oder moralischen Wert (oder mit mehreren) zu identifizieren. „Wir sind die Guten!“ behaupten solche Videos gleichsam. Und sie fordern die Rezipienten implizit auf: „Wenn Du unsere hier dokumentierte Moral teilst, dann verbreite das Video weiter, schicke es an Deine Freunde und Kontakte.“ Solche Kampagnen wirken zeitgemäß, kreativ, mutig, anspruchsvoll und trendgebend. Sie sind über Jahre hinweg wirkungsvoll, man erinnert sich noch lange an sie, man kann sie immer wieder neu ansehen, kommentieren, liken und weiterleiten. Insofern dienen sie gewiss auch der Reputation des auftraggebenden Unternehmens.
Aber erfolgreiche Kampagnen müssen nicht eine erfundene Geschichte erzählen. Eigentlich sind wahre Geschichten noch wirkungsvoller. Sie sollten entwickelt werden. Dafür eignen sich besonders gut jene Branchen, in denen es um Dramen geht oder um die Gesundheit von Menschen. Das können Rettungsdienste, Ärzte, #Krankenhäuser sein, aber auch Apotheken, #Tourismusorganisationen, #Fluglinien, Reedereien, Busunternehmen, #Logistikfirmen, Kurier- und Sicherheitsdienste und viele öffentliche Einrichtungen wie #Behörden, Gebietskörperschaften, die Polizei, die Feuerwehr, die Bundeswehr… Solche Arbeitgeber können immer gute Geschichten von Menschen in Form von Filmen erzählen. Und sie sollten genau das tun. Dadurch erklären sie dem Publikum ihre Bedeutung, ihre Qualität, ihre Arbeitsweise, ihren gesellschaftlichen Wert. Das macht sie attraktiv.
Smartphone-Videos wirken anders als Filme,
die mit TV-Kameras aufgenommen wurden
Je dramatischer ein Geschehen ist (beispielsweise ein Kampf eines Menschen um sein Leben), desto emotionaler wirkt das Video. Wenn die Geschichte eines Flüchtlings, eines Transplantations- oder Krebspatienten, eines Notarztes, eines Rettungssanitäters, einer Chirurgin, eines Polizisten oder einer Soldatin berichtet wird, die oder der heldenhaft ums eigene Leben kämpft oder sich für das Leben eines anderen Menschen einsetzt, dann rührt das die Zuschauer und sie können sich identifizieren mit dem Tun der Heldin oder des #Helden. Das leistet moderne #Kommunikation: #Identifikation mit den Werten der Organisation und dem Handeln der Menschen. Letztlich steigt so das Vertrauen in die jeweilige Einrichtung. Mehr kann man von einem Video nicht erwarten.
Videos sind auch formal zu unterscheiden. Mit dem #Smartphone aufgenommene zeichnen sich durch eine andere Ästhetik aus als Filme, die von einem oder mehreren Kamerateams gedreht worden sind. Das Smartphone wird vor allem als Weitwinkelobjektiv genutzt. Attraktive Tele-Einstellungen mit einer Kinobeleuchtung wären zwar auch mit einem exzellenten Smartphone möglich, entsprechen aber nicht dem Umgang damit. Der Vorteil der Smartphone-Clips besteht in ihrer scheinbaren #Wahrhaftigkeit, #Authentizität und Unmittelbarkeit. Der Zuschauer hat den Eindruck, da hat jemand sein Gerät aus der Hosentasche gezogen und auf ein akutes Geschehen draufgehalten.
Das ikonographische Video mit dem um Luft ringenden George Floyd
hat die Weltmacht USA verändert
Viele Menschen erinnern sich an die Aufnahmen des japsenden George Floyd, der von Passanten aufgenommen wurde, als ein weißer Polizist ihn mit dem Knie auf seinem Hals auf die Straße drückte. In der quälenden langen Szene von mehr als neun Minuten Dauer flehte der hilflos am Boden liegende Mann 16 Mal „I can’t breathe!“ – Ich bekomme keine Luft! Aber der Beamte drückte ihm trotzdem weiter in dieser Weise die Luft ab, sodass der 46-Jährige an den Folgen des Sauerstoffmangels und dieser öffentlichen Misshandlung verstarb. Die ikonografische Szene bleibt den Menschen in den Köpfen. Sie verdeutlicht, wie stark Smartphone-Aufnahmen wirken können, wenn sie ein wichtiges Geschehen dokumentieren. Die schnellen Schwenks und die bisweilen wackelnde Kamera verstärken noch den Eindruck von Zeugenschaft und Echtheit.
Dieses zufällige Video hat die #Weltmacht USA verändert. Sie ist danach nicht mehr die gleiche wie zuvor. Durch das Video wurde sie zumindest ein klein wenig zu einem besseren Ort. So etwas können idealerweise – nach entsprechend wirkungsstarken #Videokampagnen – auch manche Arbeitgeber über sich sagen.
Herzliche Grüße, Ihr
Matthias Michael, Co-Geschäftsführer von Michael&Stiegler
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