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Der Schutz des Ansehens ist eine originäre Managementdisziplin

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Interview von Businesscoach und Prozessberater Thomas Stiegler mit Prof. Dr. Matthias Michael, Kommunikations- und Krisenberater, der seit Jahrzehnten hilft, die Reputation von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen zu verbessern (Teil 1)


Thomas Stiegler: Was ist eigentlich unter Reputation zu verstehen? Und wozu benötigen Organisationen ein Reputationsmanagement?


Matthias Michael: Der Begriff Reputationsmanagement ist im Deutschen noch nicht sehr gebräuchlich. Aber das ändert sich gerade. Die Reputation eines Arbeitgebers lässt sich gut beschreiben als der Grad des Vertrauens, den alle seine Anspruchsgruppen ihm entgegenbringen. Reputationsmanagement ist Vertrauensmanagement. Es geht ums langfristige Ansehen der jeweiligen Einrichtung. Das Vertrauen von Beschäftigten, Kunden, Politik, Gesetzgeber, Gewerkschaften, Nachbarn, Wettbewerbern, Lieferanten, Medien und der ganzen Gesellschaft ist der wichtigste immaterielle Wert einer Organisation. Ohne Vertrauen wird sie womöglich schnell sterben. Und dieses Vertrauen kann man aufbauen, pflegen und vergrößern. Oder zerstören.

Vertrauen kann erwarten, wer etwas gibt,wer sich öffnet, wer selbst Anderen vertraut


Stiegler: Bleiben wir zunächst beim Aufbau von Vertrauen: Wie funktioniert das? Was können Arbeitgeber hier tun?


Michael: Arbeitgeber beschäftigen Menschen. Von den Spitzenkräften bis hinunter zu Auszubildenden, Praktikanten, Werkstudenten und Aushilfskräften repräsentieren alle die Organisation. Es kommt nun darauf an, wie sich diese Menschen verhalten gegenüber Außenstehenden, also den beschriebenen Anspruchsgruppen. Deshalb gilt für Einrichtungen das gleiche wie für Menschen: Vertrauen kann erwarten, wer sich öffnet, wer etwas gibt, wer selbst Anderen vertraut, wer freundlich und hilfsbereit ist, wer die Menschen mit Engagement, Kompetenz und Produktivität überrascht. Und wer dann trotzdem die gestiegenen Erwartungen immer wieder erfüllt oder übertrifft.


Stiegler: Was war die Initialzündung für die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Reputationsmanagement?


Michael: Da kamen mehrere Aspekte zusammen: Zunächst haben wir im Team besprochen, warum die Ideen der Plattformökonomie in Deutschland noch nicht sonderlich angekommen sind. Dann haben wir überlegt, wie wir unsere Kontakte, unsere Expertisen und unsere Schulungsangebote zum Nutzen der Auftraggeber bündeln können. Der Bedarf ist riesig, vor allem im deutschen Mittelstand, aber auch bei Institutionen aller Art. Und schließlich hat der Diesel-Betrugsskandal von Volkswagen ab 2015 auch einen Beitrag geleistet, denn auf Veranstaltungen sind wir immer wieder darauf angesprochen worden, was Volkswagen falsch macht und stattdessen tun sollte.


Die Ursache des Skandals bei Volkswagen lag in Mängeln in der Guten Unternehmensführung


Stiegler: Und, was sagst Du den Menschen dann?


Michael: Vor Jahren habe ich die „30 Schritte des Krisenmanagements“ entwickelt. Sie geben Unternehmen und anderen Einrichtungen eine gute Orientierung, wie man sich gegen Störfall- und Krisensituationen wappnen kann und wie Organisationen dann idealerweise handeln, um die Schäden zu minimieren. Aber wenn ich mir den Fall Volkswagen danebenlege, stelle ich vermutlich fest, dass Volkswagen etwa 25 dieser Schritte nicht gegangen ist bzw. sich nicht reputationsfördernd verhalten hat. Das ist die Außensicht. Die Binnensicht ist meist eine andere. Sie ist geprägt durch die in der Vergangenheit gelebten internen Prozesse und durch das Spitzenpersonal, das für diese Art von Unternehmenskultur zuständig war und ist. Viele krisengeschüttelte Unternehmen verharren in ihren Strukturen und Verhaltensweisen auch dann, wenn sie eigentlich grundlegend reflektieren und manches grundlegend ändern sollten.


Stiegler: Wie groß ist der immaterielle Schaden für Volkswagen?


Michael: Die Ursache des Skandals bei VW lag in Mängeln in der Guten Unternehmensführung. Denn die betrügerische Steuerungssoftware der Motoren wurde ja von VW-Verantwortlichen bei Bosch bestellt, ist dort entwickelt und schließlich in hunderttausende Autos des VW-Konzerns eingebaut worden. So etwas hätte nicht geschehen dürfen. Da gab es offenbar keine Kontrolle und keine Richtlinien. Beim Thema Elektromobilität hat aber auch die deutsche Politik offenbar nicht verstanden, dass sie den Konzernen nur dann hilft, wenn sie sie fordert, sie bei der Transformation unterstützt, die entsprechende Infrastruktur incentiviert und sich insoweit an den Gegebenheiten in Shanghai, Seoul und San Francisco orientiert. Die Politik und die Konzernlenker hierzulande haben offenbar nicht früh erkannt, dass die männlich geprägte Zeit der möglichst großen Motoren für möglichst schwere und leistungsstarke Autos vorbei ist. Männer in diesen benzin- und abgasstinkenden, strukturell veralteten Rennpanzern gelten bei den jungen Generationen zunehmend als Macho-Dinos, deren Umweltkosten zu lange nicht erfasst und ihnen nicht in Rechnung gestellt worden sind.


Unternehmen mit einer antagonistischen heiligen Ordnung werden Probleme haben


Stiegler: Demnach beginnt sozusagen eine weibliche Zeit der individuellen Mobilität?


Michael: So könnte man es ausdrücken. Schon heute sind E-Autos gleichsam Statussymbole für Ressourcenschutz, Modernität, Zukunftsfähigkeit und technische Avantgarde. Wer einmal einen Zoe, einen Tesla oder einen ID Buzz gefahren ist, wird nicht mehr umsteigen zurück auf einen Verbrenner, der Giftstoffe ausstößt, das Klima erhitzt und die begrenzten Ressourcen verbraucht. Das war die Technik des 19. Jahrhunderts. Künftige Generationen werden sie so wenig vermissen wie Telefonzellen und Faxgeräte.


Stiegler: Ist auch hier die Unternehmenskultur ein Grund, warum solche Entwicklungen nicht rechtzeitig erkanntwerden und die Reputation sinkt?


Michael: Ein entscheidender. Die Kultur bestimmt die Zukunftsfähigkeit. Denn die nächsten Generationen legen höchsten Wert auf ein modernes Miteinander am Arbeitsplatz. Unternehmen mit einer antagonistischen heiligen Ordnung, einem gelebten Ellenbogengegeneinander, einem Silodenken und einer Schaltermentalität werden Probleme haben, die wichtigste Ressource anzuziehen oder zu halten: die kreativen, flexiblen, querdenkenden und international gebildeten High Potentials. Wer eine muffige, verklemmte, steife und konkurrenzbetonte Arbeitsplatzspannung pflegt, ist zum Aussterben verurteilt. Ich habe den Eindruck, das ist vielen Unternehmen, aber auch anderen Institutionen noch nicht in seiner ganzen Dynamik bewusst.


Stiegler: Inwieweit wird die deutsche Wirtschaft auch deshalb so geführt, wie sie ist, weil hier traditionell ganz überwiegend Männer die Entscheidungen treffen, bestimmen und führen?


Michael: Wir erleben einen grundlegenden Wertewandel in der Arbeitswelt. In meiner Generation wollten die meisten Männer, wenn sie ins Berufsleben einstiegen, den Karrierefahrstuhl nehmen und möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen und Verantwortung tragen. Die Mehrheit der heutigen Berufseinsteiger hat durchaus andere Ziele, wie viele entsprechende Studien nahelegen: Sie wollen zuvörderst etwas Sinnvolles tun, sich mit den Inhalten ihrer Arbeit identifizieren, auch mit der jeweiligen Arbeitgebermarke, und die Welt mit ihrem Handeln zumindest ein kleines bisschen besser machen. Diesen Idealismus finde ich großartig…


Stiegler: …weil sich dadurch zwangsläufig auch die Wirtschaft verändert?


Michael: Unbedingt. Damit tragen die nächsten Generationen zu einer Konsolidierung der Wirtschaft nach Kriterien ihrer gesellschaftlichen Qualität bei. Jenseits eines rein quantitativen Wachstums an Konsumwaren.


Die Beschäftigten sind die ersten und glaubwürdigen Agenten ihres Arbeitgebers


Stiegler: Das trifft vermutlich auf Männer genauso zu wie auf Frauen.


Michael: Gottlob gewinnen die Frauen in der Wirtschaft an Bedeutung. Die veralteten Rollenbilder gehören hinterfragt und beseitigt. Organisationen, die ihren Verwaltungsmitarbeitern die Heimarbeit oder das Mitbringen ihrer Kinder ins Büro verbieten, wird es künftig nicht mehr geben. Das ist gut so! Die Wirtschaft gewinnt an Menschlichkeit, die Bereiche Arbeit und Freizeit werden fluider, wobei diese Entwicklungen durchaus auch kritische Dimensionen mit sich bringen werden.


Stiegler: Mir „kritische Dimension“ meinst Du das Dienstleistungsprekariat der Minijobber, Zustelldienste, Regaleinräumer, Parkplatzkehrer und sonstigen Billiglöhner?


Michael: Die Wirtschaft nutzt gesellschaftliche Entwicklungen zum eigenen Vorteil. Wenn es bei Firmen beispielsweise keine geregelten Arbeits- oder Anwesenheitszeiten mehr gibt, hat dies positive und womöglich auch ein paar negative Folgen. Darüber sollte es einen gesellschaftlichen Diskurs geben.


Stiegler: Umso wichtiger erscheint die interne Kommunikation zwischen Führung und Mitarbeitern über solche Themen.


Michael: Richtig, Reputation sollte gegenüber allen Anspruchsgruppen aufgebaut, gepflegt und entwickelt werden. Ganz wichtig sind dabei die eigenen Beschäftigten: Bei modernen Betrieben sind sie die ersten und glaubwürdigen Agenten. Sie sind stolz, ein Teil der Unternehmensmarke zu sein, sie fühlen sich wie eine wirtschaftliche und im besten Fall auch gesellschaftliche Auslese, weil sie qua Geschäftsmodell der Gesellschaft etwas Gutes tun – und das in einer angenehmen, wertschätzenden und menschlichen Atmosphäre, in der man gern einen großen Teil seiner Zeit verbringt.


Das Mantra lautet: Tue Gutes und lasse andere darüber berichten


Stiegler: Warum tun sich Arbeitgeber in Deutschland so schwer damit, ein gutes Ansehen zu organisieren? Sie bräuchten doch nur die technischen Möglichkeiten der Online-Plattformen zu nutzen und sich auch den klassischen Medien zu öffnen.


Michael: Das ist teils richtig. Aber diese Art der Eigenpublikationen und der Medienarbeit, also der Zusammenarbeit mit Journalistinnen und Journalisten, macht nur einen Aspekt des Reputationsmanagements aus. Damit sich das Ansehen grundlegend zum Positiven wandelt, sollten weitere hinzukommen…


Stiegler: …Du meinst sicher das vorbildliche Verhalten?


Michael: Ja, eine Reputation kann nicht ausschließlich auf Kommunikation fußen. Vielmehr ist dafür ein richtiges, nachhaltiges, gesellschaftlich nützliches Handeln erforderlich. Dieses sinnhafte Bemühen und Agieren kann die Organisation dann wieder effektvoll darstellen bzw. darstellen lassen. Das Mantra könnte insoweit lauten: Tue Gutes und lasse andere darüber berichten!


Stiegler: Aber mit dem guten Handeln hadern viele Organisationen wohl noch.


Michael: Abhängig vom Industriezweig tun sich manche Unternehmen schwerer, andere leichter. Zigarettenhersteller, Alkoholika-Unternehmen, die Automatenindustrie, auch Rüstungskonzerne, selbst Süßwarenproduzenten, Betonwerke, Fluglinien, Plastikhersteller, Fast-Fashion-Konzerne haben es schwerer heute, weil die Menschen fragen, ob die Welt nicht besser wäre ohne deren Produkte und die Gesundheits-, Sozial- und Umweltfolgen. Ökomärkte, Solarparkbetreiber, Biobetriebe, Pflegedienste und Rehakliniken haben bessere Startchancen für eine gute Reputation. Trotzdem kommt es stets darauf an, was das einzelne Unternehmen daraus macht.


Zur Kultur gehört, dass sich alle Beschäftigten trauen, Fehler zu benennen – das sollte selbstverständlich sein


Stiegler: Wie gehst Du vor, um die Reputation eines Unternehmens zu verbessern?


Michael: Das hängt von der jeweiligen Situation, der Herausforderung, dem Ziel und den Ressourcen ab. Was möchte die Unternehmensführung erreichen? Grundsätzlich habe ich einen strukturierten Prozess entwickelt, den jede Organisation anwenden kann: Das fängt an mit der guten Unternehmensführung bzw. Corporate Governance. Hier wird geprüft, inwieweit die Kultur, die Leistungen und Ziele des Unternehmens vorbildlich sind und so auch dargestellt werden können. Dazu zählt beispielsweise auch so etwas wie eine Charta oder ein Manifest, das den Qualitätsanspruch strenger fasst als es der Gesetzgeber vorschreibt. Marktführer nehmen für sich in Anspruch, besser zu sein als der Wettbewerb. Das müssen sie auch im Gebiet der Nachhaltigkeit nachweisen. Und zur Kultur gehört natürlich auch, dass sich alle Beschäftigten trauen, Fehler zu benennen, Missstände zu melden, sachlich zu streiten über das richtige Tun des Unternehmens. Das sollte überall selbstverständlich sein, weil sich Organisationen sonst nicht weiterentwickeln.


Stiegler: Kannst Du ein Beispiel geben, was Du unter „richtiges Tun“ verstehst?


Michael: Das weltgrößte Reiseunternehmen ist die TUI in Hannover. Wenn es nun zu einer nie dagewesenen Katastrophe in einer Touristikregion kommt, wie beispielsweise bei dem Tsunami an Weihnachten 2004 in Südostasien, dann blicken alle Augen auf die großen Reiseveranstalter. Sie müssen Zeichen setzen, sofort Hilfe leisten, klotzen statt kleckern. Genau das hat die TUI gemacht in dieser Krise: Sie hat Flugzeuge mit Hilfsmaterial beladen, Helfer und Traumateams engagiert, ist in die betroffenen Regionen geflogen, hat Soforthilfe geleistet und verletzte und traumatisierte Touristen nach Hause gebracht. Auch tote übrigens. Aber das war noch nicht das Besondere: Dieser Reiseveranstalter hat selbstverständlich auch notleidende Touristen von anderen Reiseunternehmen mitgenommen. Dafür ist die TUI weltweit in vielen Medien ausdrücklich gelobt und porträtiert worden. Dieses beeindruckende Handeln hat sich für das Unternehmen langfristig vielfach ausgezahlt und seine Reputation nachhaltig gestärkt.


Reputations- und Krisenmanagement steigert den Wert der Einrichtung und sichert ihre Existenz


Stiegler: Wir sehen einmal mehr: Krisen sind – bei allen schwierigen und teils tragischen Komponenten – auch Chancen für die betroffenen Organisationen!


Michael: Das ist fast immer so: Wenn Du wegen einer Krise im Rampenlicht stehst und die halbe Welt auf Dich blickt, hast Du die Möglichkeit, die Menschen positiv zu überraschen und Deine gute Seele zu zeigen.      


Stiegler: Du sprachst von einer Struktur des Reputationsmanagements: Was zählt außer der Guten Unternehmensführung noch dazu?


Michael: Wir kümmern uns darum, Risiken zu minimieren, die Atmosphäre unter den Beschäftigten zu verbessern, zwischenmenschliche Störungen in Abteilungen zu beseitigen, Zwischenfälle professionell zu beheben, die Wahrnehmung der Einrichtung deutlich zu stärken und Krisen tatsächlich zum Wohle des Auftraggebers zu bewältigen. Damit leisten wir Beiträge, um den Wert der Einrichtung zu steigern und ihre Existenz zu sichern. Beispielsweise können sich Interessierte bei unserer Störfall- und Krisenhotline melden, wenn sie Fragen haben.


Vielen Dank für dieses Gespräch.  

 
 
 

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